Epilog

Er wird ihr nach einigen Wochen und einigen unerfreulichen Kontakten und einem Gespräch mit einer guten Freundin, die trocken konstatiert hatte, dass sie eben nicht beziehungsfähig wäre, folgende Email unter dem Titel „Übersiedlung“ schicken:
Liebe C.,
nachdem Du mir gestern all Deinen Hass und Deine Kälte gezeigt hat, zu denen ich Dich nie für fähig gehalten hätte, bin ich in unsere Wohnung zurückgekehrt, in der Du mich mit einem Anflug an Sadismus vor Wochen einfach zurückgelassen hast, um ein neues Leben anzufangen. Da ich aber kein Masochist bin und mir täglich unsere Vergangenheit um die Ohren schlagen lassen möchte, ersuche ich Dich dringend, bis Ende des Monats November alle Deine Habseligkeiten abtransportieren zu lassen. Nach meiner Schätzung wirst Du an die 30-50 Übersiedlungskisten benötigen, wobei dazu noch die Möbelstücke und Deine Sachen, die sich am Dachboden und im Abstellraum befinden, hinzukommen.
Ich hatte bisher diese ambivalente Situation ertragen, da ich noch immer die Hoffnung hatte, dass wir in einiger Zeit (ein paar Monate, ein halbes Jahr) ein Arrangement bezüglich eines für beide befriedigenden Zusammenlebens finden könnten. Ich hatte gehofft, dass Du irgendwann erkennen würdest, dass ich mich schon sehr lange zum Positiven verändert hatte, dass Du wieder ein Gefühl für mich entwickeln könntest. Aber Du hast Dir aus den Bruchstücken einer äußerst einseitigen Erinnerung einen Werner konstruiert, gegen den ich einfach nicht ankommen kann. Ich resigniere jetzt, da ich seit gestern weiß, dass es völlig gleichgültig ist, was ich tue, Du wirst mir immer einen Strick daraus drehen. Du hast nie in Deinem Leben eine einmal gefasste Meinung geändert, nie einen Irrtum zugegeben. Mein Irrtum war, Dich zu lieben. Und diesen Irrtum erkenne ich jetzt, auch wenn es unheimlich weh tut. Ich habe Dir mehr als mein halbes Leben gegeben, Du hast es genommen und jetzt wirfst Du es weg. Du wirst damit leben müssen, genauso wie ich.
Ich habe mich gefragt, was jetzt wäre, wenn ich nicht hinter Deinen Betrug gekommen wäre. Vermutlich wären wir noch beisammen und Du würdest Dein Doppelleben weiter führen. Wahrscheinlich ist das Leben insgesamt eine Lüge, wobei diese Lügen austauschbar sind. Viel Spaß mit Deiner neuen Lüge – soviel Sarkasmus muss sein.
Ich habe entgegen dem Rat aller Menschen in meiner Umgebung – wozu auch Deine Familie gehörte – versucht, Dir meine Hand zu reichen. Ich sehe, ich bin damit gescheitert.
Seit gestern empfinde ich tiefes Mitleid mit Dir, vor allem deshalb, weil es Dir in den kommenden Monaten nicht erspart bleiben wird, Dich mir dem, was Du jetzt getan hast, existenziell auseinanderzusetzen. Aber Du hast ja so viele Freunde und Freundinnen, dass das ganz leicht sein wird.
Zum Abschluss noch: Ich hatte mich gestern wirklich gefreut, Dich wieder zu sehen, weil ich nach dem Abschied eine Woche lang die Hoffnung hatte, es gibt in Dir noch einen Rest von Wärme und Emotion. Aber Dir geht es offensichtlich so gut, dass das gar nicht nötig ist. Jemand, der wie Du ständig auf der Flucht vor sich selber ist, braucht keine Emotionen sondern einfach einen langen Atem. Ich laufe Dir ab nun nicht mehr hinterher, denn ich bin am Ende mit meiner Kraft. Du sprichst vom Mut mich endlich verlassen zu haben – ich wünsche Dir den Mut, dass Du Dich eines Tages Dir selber stellen kannst und dass Du dabei etwas findest, was ich einmal so unendlich geliebt hatte. Noch immer liebe.
Immer lieben werde. Ich wünsche Dir, dass Du dann nicht erkennen musst, dass das, was Dein Leben ausgemacht hat, nicht bloß meine Liebe zu Dir war.
W*

Falls meine SMS (7 Teile) gestern bruchstückhaft angekommen ist, hier nochmals der vollständige Text:
Liebe C., Deine Argumentationsumkehr zum Verzeihen macht mich sehr traurig, denn das heißt, Du hast mich nie geliebt. Daher brauchtest Du nie damit anfangen! Ich dachte immer, nur die letzten 7-8 Jahre wären ohne Liebe gewesen, nun weiß ich, dass es 33 Jahre waren. Mehr als mein und Dein halbes Leben! Danke für diese Lebenslüge – Strindberg ist dagegen ein Lercherl. Nun weiß ich, dass Du unser heutiges Gespräch bewusst scheitern lassen wolltest – es ist Dir gelungen. Offensichtlich suchst Du in der Zwischenzeit unserer Begegnungen Anlässe, die Du mir an den Kopf schmeißen kannst, um Deine Lebenslügen aufrecht zu erhalten, egal, ob sie stimmen oder nicht. Vermutlich bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der Dich überhaupt liebt. Objektiv betrachtet verdienst Du es nicht, aber ich bin halt nicht objektiv. Dein nützlicher Idiot, den Du wieder einmal perfekt zum Spielen Deines Lebens missbraucht hast. Könnte ich Dich doch hassen! Könnte ich doch Hassgedichte schreiben statt solche der Hoffnung. Ich kann es nicht! Versuch mir nur einmal eine Winzigkeit zu verzeihen! Gute Nacht! W*, todtraurig.