VIII Hof.Narr

Der Betrug schmerzte ihn besonders, da er in jene Phase ihrer Beziehung fiel, in der er aus den Fehlern der Vergangenheit – vor allem aus der Zeit unmittelbar vor Strasbourg und Wien – Lehren ziehen wollte. Dass er es dieses Mal – wie oft eigentlich schon – besser machen wollte. Seine Verbesserungsversuche waren eine Illusion, denn die letzten Jahre ihre Beziehung waren von diesen Versuchen geprägt, es nach Krisen stets besser machen zu wollen. Er versuchte es.
Seit der Rückkehr aus Wien im Herbst des vorigen Jahres waren es andere Krisen als vor dieser Zeit. Während es früher reale Verletzungen waren, die sie einander zugefügt hatten, Verletzungen, die existenzielle Fragen bei ihr und bei ihm betrafen, waren es plötzlich völlig banale Dinge. Eine Frage nach einem verlegten Papier, eine Erinnerung an einen Termin, ein vergessener Einkauf, eine liegen gebliebene Papierserviette. An diesen Alltäglichkeiten entzündeten sich Auseinandersetzungen, die für einen unvoreingenommenen Beobachter vermutlich bizarr und lächerlich erschienen wären.
Im Nachhinein erklärte er sich diese Veränderung in ihrem Verhältnis zu einem anderen Mann, denn wer braucht sich schon die Frage nach einem weggeworfenen Papier gefallen lassen, wenn man mit einem anderen über die schönen Dinge des Lebens plaudern konnte. Diese Beziehung war nicht belastet von Trivialitäten wie dem Einkauf von Toilettepapier oder Putzmitteln, die schwebte vom ersten Augenblick des Treffens oder Telefonats auf einer Wolke der Innigkeit und Bedeutsamkeit, von der aus man auf den armen Tropf da unten, der sich halt darüber ärgerte, dass sie ein Blatt Papier entsorgt hatte, auf dem er etwas Wichtiges notiert hatte. Sie brauchte sich nicht darum zu kümmern, ob seine Hemden gewaschen und gebügelt sind, da gab es eine Frau. Sie brauchte ihn nicht daran erinnern, nach dem Scheißen auch die Klomuschel nachzuputzen. Sie brauchte sich nicht anhören, dass sie beim Haareauszupfen in der Badewanne darauf achten sollte, dass der Abfluss nicht verstopft wird. Er hatte nämlich in der Zeit, in der sie in Strasbourg und Wien war, das von Kalkablagerungen hässlich gewordene Badezimmer gründlich zu reinigen und mit neuester Nanotechnologie dafür zu sorgen, dass es auch so blieb. Er führte auf Grund des aggressiven Grazer Wassers in den Haushalt den Brauch ein, das Waschbecken nach der Verwendung mit einem bereitliegenden Tuch zu trocknen. Anfangs fand sie das übertrieben – wie sie so vieles übertrieben fand -, allerdings hat sie diese Routine dann auch übernommen, da ihr vermutlich auch klar geworden war, dass es angenehmer ist, eine glänzendes Waschbecken oder eine saubere Badewanne zu benutzen als solche, die von Kalkschlieren und Schimmelpilzen umrandet sind. Wenn sie mit ihm beisammen war, fanden solche Themen keinen Eingang in ihren hoch stehenden oder zärtlichen Diskurs. Er fragte sich oft, worüber sie eigentlich sprachen. Sprachen sie auch über ihn? Das ist die Schmerzfrage aller Betrogenen. Reden sie über mich und was reden sie? Lachen sie über ihn? Oder war er einfach zu unwichtig, als dass sie überhaupt über ihn sprachen. Nein, da ging es sicher um Kunst, Reisen, Träume, Perspektiven …
Was nützten da alle seine Versuche, es besser zu machen?
Sie versuchte nichts. Sie brauchte nichts zu versuchen, denn sie hatte die Wahl.
Er hatte keine.
Der Betrug fand – das stellte er in den zwei Wochen verbittert fest – unter seinen Augen statt, mit seiner tätigen Mithilfe, da er ihr den Freiraum gegeben hatte, den sie in den Jahren immer eingefordert hatte. Jetzt erkannte er – und das raubte ihm auch noch lange nachher immer wieder den Atem –, dass er chancenlos war in seinem Bemühen.
Jetzt erst konnte er sich ihre Teilnahmslosigkeit erklären, die sie in vielen gemeinsamen Unternehmungen erkennen ließ. Es war, wie wenn man einem Millionär einen Euro schenkt. Einem im Meer schwimmenden Fisch einen Liter Wasser.
Er hatte besonders in der Zeit nach ihrer Rückkehr aus Wien, in der sie sich erst wieder in Graz beruflich etablieren musste, versucht, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen, ihr zumindest in dieser Hinsicht allen Rückhalt zu geben, den sie nur benötigte.
Wie konnte sie nur mit ihm schlafen, während sie an einen anderen dachte? Sie ließ in den letzten Monaten den Akt stets teilnahmslos über sich ergehen. Sie hätte sexuell keinerlei Bedürfnisse mehr. Wie sehr bemühte er sich, ihre Sexualität mit all seiner Zärtlichkeit wieder zu erwecken, zu der er nur fähig war. Und er war zärtlich, das wusste er. Sie war einst auch zärtlich zu ihm gewesen, doch das lag lange zurück. Nie so zärtlich wie er, aber zärtlich. Jetzt ließ sie einfach das Vorspiel, das Beisammensein über sich ergehen. Am Liebsten war es ihr, wenn sie es ihm nur einmal in der Woche mit der Hand machen konnte. Einerseits war er ohnehin mit der Zeit zufrieden und genoss es allmählich, denn er konnte sich dabei wie nie zuvor in seinem Leben auf sich und seinen Körper konzentrieren. Andererseits bedrückte es ihn nachher, dass sie dabei doch leer ausgegangen war. Allmählich entwickelte er daher auch Schuldgefühle, ähnlich jenen in der Pubertät, als er sich regelmäßig selbst befriedigte.
Wem sollte er jetzt beichten?
In die Zeit nach ihrer Rückkehr fiel auch die Auszeit, die sie in einem Kloster nahm. Der Anlass hätte ihm damals die Augen öffnen müssen, dass ihre Beziehung durch irgendetwas außerhalb gestört war, etwas, worauf er keinen Einfluss hatte. Er hatte ihnen beiden zu Weihnachten – um ihre gemeinsame Sexualität wieder zu erwecken – ein Aufklärungsbuch über Sexualpraktiken geschenkt. Sich eines, wie man eine Frau sexuell glücklich machen kann – er fand darin wenig Neues -, ihr jenes, wie man einen Mann sexuell befriedigen kann – vermutlich war darin für sie doch einiges neu, zumindest dann, wenn man es mit den von ihr gepflegten Formen des Beisammenseins vergleicht. Er hatte auch nach über dreißig Jahren noch immer das Gefühl, dass sie nicht wusste, wie man es einem Mann richtig mit der Hand machen kann. Er versuchte, blaue Stunden zu arrangieren, ein gemeinsames Bad, ein gegenseitiges Massieren mit Bodylotion. Alles zu tun, um einen Funken sexueller Erregung in ihr zu finden.
An diesem Tag – es war ein Sonntag – hatte er geduscht und sie gebeten, ihn nachher mit Bodylotion einzureiben. Sie tat es. Und sie befriedigte ihn mit der Hand, weil er ihre Hand an seinen Schwanz gelegt hatte. Das war in dieser Zeit zu einer Art Signal geworden, dass er es von ihr haben wollte. Sie wollte nichts von ihm. Es war eine einseitige Angelegenheit geworden, das war ihm klar. Aber er hoffte, dass eines Tages ihr Interesse an Körperlichkeit wieder erwachen könnte. In den zwei Wochen wurde ihm klar, warum sie damals von Missbrauch gesprochen hat, ein Wort, dass sie später einmal zurücknahm, das aber dazu führte, dass sie für über einen Monat in ein Kloster zog.
Ihre Auszeit.
Danach war sie zu ihm zurückgekehrt. Er hatte sie angefleht und sie war gekommen. Wieder bemühte er sich nach Kräften, er machte nichts falsch, doch wieder war sie teilnahmslos gegenüber seinen Bemühungen. Nun, nachdem er von ihrer zweiten Beziehung – war die zu ihm überhaupt noch eine? – erfahren hatte, konnte er sich auch jenen aggressiven Ton in manchen ihrer Antworten auf völlig harmlose Fragen erklären, die Schärfe, mit der sie in vielem reagierte.
Er konnte beobachten, dass selbst ihr Sohn, wenn er über ein Wochenende auf Besuch war, bei ihren Reaktionen zusammenzuckte. Bei seinem letzten Besuch vor den zwei Wochen hatte er einige Male sogar verbal reagiert, indem er sie aufforderte, sich zu beruhigen, aber sie hatte seine Bitte nicht einmal registriert. So sehr war sie offensichtlich mit ihren Gedanken in einer anderen Welt, in der alles störte, was nicht ihres war.
Ihre heftigen Reaktionen waren auch Ausdruck der Spannung, mit ihm in einer Welt der Lügen und Heimlichkeiten zu leben. Auch wenn sie bloß diese Nischen, die sie für den anderen eingerichtet hatte – ein Telefonat, eine tägliche SMS, ein kurzes Treffen in einem Kaffeehaus, ein Urlaubstag von der Arbeit -, vor ihm verschweigen musste, war ihr trotz der schon lange vollzogenen inneren Trennung klar, dass dieses Dreieck auf Dauer nicht funktionieren konnte. In manchen Momenten hatte sie vielleicht sogar Mitleid mit ihm, der er nichts ahnte. In dieser Situation der Spannung begannen alle Dinge, die er für sie tat, zur Belastung zu werden. Ihr war klar, dass es unrecht war, bei ihm zu wohnen und mit ihm sogar zu schlafen, gleichzeitig aber an einen anderen zu denken, einen anderen zu lieben. Liebte sie ihn oder war er bloß der Anker, an dem sie ihre Illusion von Liebe festmachte, die mit ihr in einem Meer eines alltäglichen Lebens dahintrieb? Sie brauchte ihn und glaubte, dass er sie brauchte. Die erste Liebe im Leben eines Menschen behält stets eine Aura von Ewigkeit, die irgendwo draußen im Weltall noch leuchtet.
Sie hatte vor einiger Zeit begonnen, in einer Traumwelt zu leben, was vermutlich durch das Schreiben von Erzählungen noch verstärkt wurde, denn dort konnte sie die Welt so gestalten und erklären, wie sie es für richtig hielt. Während die Frauentrilogie – ihr erster Roman, wie sie ihn nannte – nur wenige persönliche Bezüge aufwies, hatte sie sich vermutlich bei der Arbeit an der Männertrilogie in den Erzählungen wesentlich intensiver eingebracht. Rechnete sie hier mit ihm ab? Mit Männern? Sie habe genug von Männern, sagte sie an jenem Tag, an dem sie den Kontakt zum anderen beendet hatte. War das jetzt anders, nachdem sie doch wieder Kontakt zu ihm aufgenommen hatte?
Sie hatte sich – und diese Erkenntnis schmeckte bitter für ihn – seit ihren verschiedenen Rückkehren immer mehr für das Schneckenhaus entschieden – alles andere, dass sie wieder ihrem Beruf nachging, dass sie bei ihm wohnte, ihm beiwohnte, dass sie gemeinsam ins Kino oder ins Musiktheater gingen, war bloße Fassade.

Wie war das noch? Der Tod sitzt auf Platz 31

Und er hatte es für eine Chance gehalten, für seine Chance.
Seine Freundin, mit der er nach der „Rückkehr mit leeren Händen“ lange telefoniert hatte, deutete mehr oder minder an, dass er doch nicht so ein Idiot sein sollte, sich wieder von ihr so an der Nase herumführen zu lassen. Sie war äußerst skeptisch, was das Arrangement mit der Wohnung in der Wohnung betraf. Sie verstand, dass es ihm lieber war, sie in der Nähe zu haben, aber ihrer Meinung nach war es kein richtiger Schnitt, wie er notwendig wäre. Sie sollte doch in ein Hotelzimmer ziehen und dort mit der Zeit merken, dass er ihr fehlte. Und genau davor hatte er Angst: dass sie nämlich gerne allein war, seit der Zeit, in der sie in dem einen Jahr in Strasbourg nach den neunundzwanzig Ehejahren aufgeblüht war – er formulierte das so -, war sie wieder auf den Geschmack gekommen. Damals hatte sie ihm die Trennung noch damit schmackhaft machen wollen, dass es danach wieder schöner wäre, gemeinsam zu leben. Dass damit neuer Wind in ihre Beziehung käme. Aber das Gegenteil war der Fall: sie fand es befreiend. In Wien hatte sie dieses Gefühl der Freiheit wohl nicht mehr so empfunden, denn sie litt darunter, eine Wochenendehe zu führen, die sie zwang, am Wochenende Ehefrau zu sein, während sie unter der Woche ungebunden war, tun konnte, was sie wollte. Mit Neid hörte er in ihren Berichten die Konzerte und Veranstaltungen, die sie mit ihren Freundinnen besucht hatte. Was hatte er in dieser Zeit falsch gemacht? Hatte er überhaupt etwas falsch gemacht? War der einzige Fehler der, jemanden dreiunddreißig Jahre festgehalten zu haben, der eigentlich nur in Freiheit leben konnte. Fühlte sie sich trotz des kleinen gemeinsamen Glücks nicht immer eingeschlossen in einen goldenen Käfig?
Sollte er nicht eher stolz darauf sein, dass er sie überhaupt so lange besessen hatte?
Auch wenn ihn seine Freundin warnte, er war dennoch wie immer unbeirrbar und glaubte an die Hoffnung. Er liebte Herausforderungen. Das war eine, die größte in seinem Leben. Die wichtigste. Die Herausforderung war, sein Leben wieder zu erlangen.
Zweimal hatten sie einander die Ringe an den Finger gesteckt.
Aller guten Dinge sind drei.
Einmal ein Narr, immer ein Narr.

Jahre danach wird er bei der Suche nach einer Fotografie in den alten Alben auf seinem Computer blättern und entdecken, dass es mindestens sieben Jahre vor den zwei Wochen begonnen haben musste, dass sie ihn mit dem anderen hinterging. Er stellte in den zahlreichen Fotos, die er von ihr gemacht hatte, eine Veränderung fest. Fast schlagartig hatte sich ihr Blick in die Kamera verändert – versuchte sie vorher noch zu lächeln und ihn anzublicken, so begann sie den Blick der Kamera und damit seinen Blick zu vermeiden. Sie kniff beinahe auf allen Bildern die Augen zusammen oder schaute über ihn hinweg. Das war lange davor geschehen, bis sie ihm offen ins Gesicht sagte, dass er sie nicht anstarren sollte, denn das hasse sie. Seinen prüfenden Blick. Er hätte es in ihren Augen erkennen müssen. Dass sie ihm den Blick verweigerte. Die Bilder, auf denen sie gemeinsam abgebildet waren und die ihr Sohn gemacht hatte, begannen erst später diese Verweigerung zu zeien. Die drückte sich eher in der Haltung und Körperspannung aus, die auf diesen Bildern ihr Zurückziehen enthüllten. Er wird Jahre nach den zwei Wochen auch feststellen, dass die Augen der Frauen in seinen neuen Beziehungen etwas enthielten, was er nie in ihren Augen gesehen hatte. Er wird eine tiefe Wärme und Zuneigung in diesen Augen finden und beinahe resignierend all ihre alten Bilder danach durchforsten.
Vergeblich.

tankred-dorstWar es wirklich eine Herausforderung, zum dritten Mal mit ihr eine Beziehung zu beginnen? Zwei Jahre nach den zwei Wochen wird er es weniger als eine Herausforderung sehen denn als Abhängigkeit. Er wird erkennen, dass es ihm niemals gelingen wird, sich von ihr zu lösen, denn dazu hatte sie ihn zu lange in einer Abhängigkeit gehalten. Er er erkannte allmählich, dass sie es mit einer unbewussten Raffinesse über all die Jahre hinweg geschafft hatte, ihn in eine freiwillige Abhängigkeit laufen zu lassen. Wie er aus einer früheren Beziehung wusste, war ihm Hörigkeit nicht fremd. Doch diese Hörigkeit hatte sich aus der Befriedigung der damit verbundenen Sehnsüchte und Wünsche genährt.
Die Abhängigkeit von ihr war anders, hatte einen anderen Weg in sein Innerstes gefunden und sich dort eingenistet.
Die Ursache seiner Abhängigkeit fand er in der von ihr gehegten Unzugänglichkeit, die sie in ihrer Beziehung stets zu bewahren wusste. Dadurch, dass sie nichts von sich als Person preisgab, erzeugte sie eine in dem Zusammenleben mit ihr beinahe notwendigerweise entstehende Neugier, die ihn ewig hoffen aber nie erreichen ließ. Die Hoffnung mochte zu Beginn ihrer Beziehung noch auf recht konkrete Dinge bezogen gewesen sein, aber sie machte sich allmählich selbständig – l’art pour l’art. Er machte sich in dieser Hoffnung zum Narren und vermutlich hatte sie irgendwann an diesem Spiel die Lust verloren. So, wie der Herrscherin die ewig gleichen Scherze des Hofnarren allmählich auf die Nerven gehen bis man sich seiner entledigt.
Kehren Hofnarren je zurück?
Nun erkannte er auch, warum sie solche Macht über ihn besessen hatte und diese auch lange nachdem sie ihn schon verlassen hatte immer noch besaß: Sie hatte Zeit ihrer Verbindung Hoffnungen in ihm erweckt, ohne je daran zu denken, sie irgendwann auch erfüllen zu müssen. Sie tat das nicht bewusst, sondern es ergab sich aus der Art und Weise, wie sie ihr Innerstes vor ihm schützte. Sie machte ihm Hoffnungen auf Veränderungen und blieb doch immer die Gleiche. Ihm schien jede von ihr geschürte Hoffnung wie die weiße Wintersonne, die durch einen grauen Schleier am Himmel von der Möglichkeit des Scheinens und der Wärme spricht, aber doch am Abend am Horizont versinkt, ohne sich gezeigt zu haben.
Eines Tages hat er wohl vergessen, worauf er überhaupt hoffte. Aber es war keine Resignation und keine innere Emigration. In ihm brannte noch immer eine Flamme, die sich von den Alltäglichkeiten nährte, den Selbstverständlichkeiten, auch seiner Aufopferung und seinem Perfektionismus. Er organisierte sich und die Abläufe – insbesondere in der Zeit der beruflichen Tennung – nach diesem Prinzip, alles ihretwegen zu tun. Schließlich überantwortete er alles an eigener Hoffnung ihrer Macht über ihn.
Es wurde ihm mit einmal auch klar, warum das letzte Jahr nach ihrer Rückkehr aus Wien schiefgehen musste, denn er hatte sich in seiner Naivität Objekte der Hoffnung gesucht, Konkretes, auf, das sich seine Sehnsüchte beziehen konnten. Sie hatte sich aber aus Wien gar nicht mitgebracht und verweigerte sich immer mehr, wodurch sie ohne es zu wollen seine Hoffnung noch mehr schürte.
Als er lange nach ihrer Trennung ein Plakat des Serapionstheaters in ihrer Wohnung studierte, das dort seit dem Bezug der gemeinsamen Wohnung wegen des ungewöhnlichen Formates an der Innenseite der Klosetttür hing und das er wohl tausende Male betrachtet hatte, fiel ihm die Prophetie der Darstellung auf: eine Frau hebt vom Boden ab, während ein nur undeutlich im Hintergrund sichtbarer Mann am Boden liegend ihr dabei zuschaut. Und noch mehr berührte ihn die Prophetie des darauf befindlichen Ausspruches von Tankred Dorst :
Einen Schatten halte ich umarmt; einen Wahn habe ich gefreit und einen Traum besessen.